2012

Beatriz von Eidlitz‘ bildhauerische und zeichnerische Qualitäten ergänzen sich in der künstlerischen Aussage ihrer Bildobjekte zu großer Klarheit. Die Haptik von Papier, Eisen, Pigmenten und Rost hat natürlich einen großen Anteil an der Plastizität ihrer Bildobjekte. Jedoch ist es die zarte, aber eindeutige Linienführung ihrer Zeichnung, die die massive Anmutung des Materials in ein fein austariertes Gleichgewicht bringt. Die Konzentration in der Zeichnung auf die makellose Geometrie von Quadrat und Kreis und auf deren Variationen wie Ovale, Ellipsen und lässig hingeworfene Kringel gibt diesen Bildern eine Leichtigkeit, die zwischen der transparenten Klarheit einfacher Formen und gedanklicher Versunkenheit in den Akt des Zeichnens an sich changiert.

Aus dieser konzentrierten Selbstvergessenheit heraus, die ich auch in den Zeichnungen von Cy Twombly erlebe, zieht Beatriz von Eidlitz ihre Kreise und entdeckt die Welt für sich und uns. Aus den Kreisen werden gezeichnete Kugeln, aus den Quadraten werden Würfel, die vom Himmel fallen, sie deklinieren die Idee von Raum und zeigen uns doch nur die Vorstellung von Körper. Mit diesem Spiel von Wirklichkeit und Vorstellung, mit der echten Plastizität des Materials und der zeichnerischen Idee von Räumlichkeit lässt uns Beatriz von Eidlitz teilhaben an ihrer künstlerischen Idee von Realität und Abstraktion.

Thomas Witzke, Installationskünstler, Maler und Fotograf (2012)

Bilder und Objekte. Beatriz von Eidlitz: Galerie Mollwo, Gartengasse 10, Parkhaus und Tramhalt “Fondation Beyeler”, 4125 Riehen/Basel, Schweiz, vom 27. November 2011 bis 08. Januar 2011, Mi-So 14-18 Uhr. Besprechung in der Riehener Zeitung vom Freitag, 25. November 2011. Riehener Zeitung, Nr. 47, 25. November 2011. Landschaften aus Metall und Papier: www.mollwo.ch (pdf).

2011

Ausstellung mit Objekten von Beatriz von Eidlitz und Florian Lechner

Metamorphosen – Verwandlungen: Was ist verwandelt worden? Was soll sich verwandeln?

Die Bilder und Objekte, die wir in dieser Ausstellung sehen, sind aus Verwandlungsprozessen hervorgegangen.
Ihre Ausgangsstoffe sind elementar: Eisen – Lumpen – Sand. Dazu Wasser und Feuer als Medien, die die Verwandlung in Gang setzen

Zuerst: Eisen, Lumpen und Wasser.

Beatriz von Eidlitz präpariert Eisenplatten: Farbpigmente, Metallschablonen, alte Nägel, Sägeblätter, Plastikringe werden zu Bildern angeordnet, bilden liegende Strukturen und Muster. Das ist die eine, die schwere Hälfte des Verwandlungsprozesses. Dazu kommt die leichte, flüssige Hälfte: zerrissener Baumwollstoff wird in kleinste Teile zermahlen, mit Wasser zu einem Brei verrührt – Papier-Pulpe, die mit einem Sieb geschöpft und auf die vorbereitete Eisenplatte aufgetragen wird. Was dann passiert, bleibt unsichtbar: der eigentliche Verwandlungsprozess liegt im Dunkeln. Das Wasser der Papiermasse reagiert mit dem Eisen, Rost frisst sich in die feste Oberfläche, das feste Metall wird flüchtig, alles gerät sozusagen ins Schwimmen, verfärbt sich, reagiert miteinander. Die festen Strukturen und Farben drücken sich ab, nach unten in das porös werdende Metall, nach oben in die langsam trocknende Papiermasse. Nach ein paar Tagen wird das getrocknete Papier-Blatt nach oben abgezogen – dann zeigen sich zwei Bilder, spiegelbildlich verwandt und doch verschieden: eines auf der Eisenplatte, eines auf dem grobkörnigen Papier. Spuren eines Verwandlungsprozesses, in dem bewusstes Gestalten und zufälliges Geschehen einander durchdringen. Kreativität und Geduld, Handeln und Abwarten, Aktion und Passion bedingen einander. Die Spuren dieses Geschehens wirken wie Lebensspuren – rostige Linien von bizarrer Schönheit, leuchtende Farbe, atmendes Metall.

Sand und Feuer sind die Ausgangselemente bei der Herstellung von Glas. Florian Lechner bearbeitet Glas, das schon herausgeschmolzen wurde aus Sand und das besonders rein und farblos ist. Das Glas wird erhitzt, über Formen gezogen, gedrückt, gebogen, übereinandergelegt, mit Farben versetzt. Beim Erkalten können Luftblasen und Brüche entstehen, Schlieren oder Trübungen. Das geformte Glas lässt das Licht nicht einfach durchscheinen wie ein Fenster, es schimmert, wird gebrochen und geformt. Die große Schale nimmt Licht auf, gibt Licht ab, bündelt es, bringt es zum Klingen. Ihre Form ist nach oben offen, Fülle und Leere sind möglich.

Schimmerndes Glas, Eisenrost, leuchtende Farbe:

Was können wir sehen?

Schwebende Planeten, die wie im Traum vorbeiziehen und sich dabei drehen. Fliegende Kisten, jede auf der Suche nach einem Platz im Universum – welche Sehnsüchte segeln in ihnen durch den Raum? Hinter ihnen die Wand wird dreidimensional und zieht den Blick hinein in das optische Spiel. Eisenplatten verändern ihre Größe, plustern sich auf, ziehen sich zusammen, Vulkane brechen aus, ein grünes Blatt entfaltet sich. Vergrößerte Mikro-Welten leuchten signalfarben– pulsierende Zellstrukturen – sind das gefährliche Bakterien oder doch Blutkörperchen, die eilig durch die Adern strömen? Vielleicht auch Einzeller, wimmelndes Leben?

Grünblaues Wasser strömt durch Meerestiefen, Licht bricht sich rot und blau, ein straff gespanntes Segel zeigt die Richtung – jeder Raum ist erweiterbar, nichts steht still und in der großen Schale könnten Schiffe fahren. Schwarzes Licht durchstrahlt einen Gang in seiner ganzen Länge, ein Wort genügt, ihn zu füllen. Weißes Licht bewegt sich, umtanzt eine gläserne Schale in wechselnden Figuren.

Sichtbar wird schließlich auch die Gestalt der Betrachterin, des Betrachters, das eigene Gesicht, gespiegelt im Glas. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, was die großformatigen Fotos dahinter abbilden. Und sichtbar wird, nach diesem zweiten Blick, im Spiegelbild vielleicht dann auch die eigene Überraschung und Verwandlung.

Susanne Erhard Rein (29.06.2011)

Metamorphosen, Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, Bischof-Meiser-Straße 6, Pullach, vom 30. Juni bis 23. September 2011, Mo-Fr 09-12.30 Uhr und Mo-Do 14-16.30 Uhr. Einführung: Dr. Susanne Ehrhard-Rein.

2007

Wer das Werk von Beatriz von Eidlitz überblickt, kann sich leicht in eine Wunderkammer des Augenkitzels, des Assoziationsreichtums versetzt fühlen. Die vibrierende Präsenz der Farbpigmente, die erdige Tiefe von Rostpartikeln und dunklen Tönen, die lebendigen, wie gerade erst von Naturkräften zugerichteten Oberflächentexturen. Und zugleich diese eminente Akkuratesse, dieses präzise Kalkül bei der Setzung der Formmotive, der formalen Akzente und – nicht zu vergessen – bei der Platzierung der Bildobjekte im Raum. Freiheit, Zufall und Spiel verbinden sich da mit genauestem Gestaltungswillen. Ein wahrhaft abenteuerliches Kompositionsprinzip – im besten Sinne. Aber was ist das für eine Bildwelt, was für ein Formen- und Motivrepertoire, dessen Erweiterung Beatriz von Eidlitz stetig vorantreibt? Im Einzelnen sind ihre Arbeiten oft genug von entschiedenem Ernst. Viele haben das Zeug zu gewichtigen Zeichen oder Symbolen. Ihr Sinn bleibt trotzdem offen. Ihre Bedeutung vermittelt sich eher durch die Stimmung, die sie mit ihren ästhetischen Mitteln erzeugen. Mit der Moderne haben sich ja die Bedeutungen von Dingen und Symbolen bis zur Auflösung gelockert. Danach widerfuhr das Gleiche den Maßstäben der Kunstbetrachtung. Seitdem gehören Stimmungswerte zu den wesentlichen Schlüsseln der Wahrnehmung, ein Wandel, der sich durch den Überschuss medialer Phänomene noch gesteigert hat. Beatriz von Eidlitz muss diese veränderten Wahrnehmungsverhältnisse nicht ausdrücklich thematisieren, um deutlich zu machen, dass sie sich auf ihre ganz eigene Weise darin bewegt. Ihre „Monde“ auf tiefschwarzem Grund, eine sechs Meter lange Bildtafel, strahlen eine magische Intensität aus, wie der Mond seit je, dennoch sehen wir das Gestirn in dreifacher Variation gesetzwidrig durch den Bildraum kugeln. Da treffen sich Eindringlichkeit und das ironische Bewusstsein der Entmystifikation ohne sich gegenseitig das Geringste zu nehmen. „Hier haben meine Bilder ihre Vorfahren“, sagte die Künstlerin bei einer Fahrt durch die farbigen Felslandschaften der Quebrada de Humahuaca im Nordwesten Argentiniens. „Allerdings eine ferne Verwandtschaft. Da liegt viel dazwischen.“ Tatsächlich: Um simple Einflüsse durch Reiseeindrücke geht es hier nicht. Schon eher um die Bildkraft von früh bestaunten und darum nie vergessenen Wunschorten, die auf den Grund der Erinnerung abgesunken sind und dennoch durch alles Spätere hindurch Orientierungen und Entscheidungen beeinflusst haben. Als Kind mit ihren Eltern und später als junge Frau hat Beatriz diese Gegenden bereist, ebenso wie Patagonien und fast alle anderen Landstriche Argentiniens. Während der Herrschaft der argentinischen Militärdiktatur verließ sie das Land 1979. Die Kunststudentin beschloss, ihr Studium in Europa fortzusetzen. Das Interesse für handgeschöpftes Hadernpapier führte sie Mitte der achtziger Jahre in die Waldviertler Papiermühle in Bad Großpertholz. Dort begann sie mit Papier zu arbeiten, zunächst in skulpturaler, dann in bildhafter Form. Daraus entwickelte sich im Lauf der Zeit nichts Geringeres als die Erfindung einer neuen Technik, nennen wir sie das BvE-Verfahren. Eisenbleche, Farbpigmente und geschöpftes Papier sind die wesentlichen Ingredienzien, die Oxydation – vulgo: der Rost – ist der entscheidende Prozess, in dem sich das Zusammenwirken dieser Elemente vollzieht. Das heißt – alle unorthodoxen Werkstoffe besitzen ja ihre eigene Symbolik – es handelt sich um quasi archetypische Materialien der Menschheitsgeschichte. Doch das nur nebenbei. Beatriz von Eidlitz liebt die daraus resultierenden Gestaltungsmöglichkeiten, doch sie macht daraus keinen Fetisch oder Materialkult.

Wie gesagt, es gibt bei Beatriz von Eidlitz eine große Vielfalt der Formmotive. Sie gehört nicht zu jenen, die ihr Werk als monolithisches Monument ihres Stils errichten. In dem Vorstellungsraum, den sie eröffnet, gibt es sehr verschiedene Kabinette. Einerseits ist das eine gewählte Freiheit. Doch nicht allein. 1995 konstatierte Hans Belting „Das Ende der Kunstgeschichte“. Das heißt, die Kunst geht weiter, sie findet aber unter veränderten Bedingungen statt. Das zeigt sich bei Beatriz von Eidlitz, wie bei vielen anderen, in dem Bewusstsein, dass es heute kaum noch um das Erfinden gänzlich neuer Formen und Inhalte gehen kann. Stattdessen liegt der Akzent stärker denn je auf dem Entwickeln neuer Ausdrucksweisen, auf dem Reflektieren, dem Weiterbearbeiten der im großen Kulturarchiv gespeicherten Bestände. „Weltenlexikon“ heißt eine ältere Arbeit, mit der die Künstlerin diesem Tatbestand schalkhaft Reverenz erweist.

Sie hat diese Freiheit zur Vielfalt genutzt, um auch selbst mit ihrem Werk ein bereits gut ausgestattetes Archiv der Formen, der Funde und Neuerfindungen zu erstellen. Doch was heißt Archiv! Strahlen doch ihre Arbeiten in Wahrheit eine ungemein lebendige Wirkungskraft aus. Es ist eine sehr poetische Abstraktion von der Wirklichkeit, die hier die Bildauffassungen bestimmt. Trotz der völlig neuen Verbindung von Materialien arbeitet Beatriz von Eidlitz auf ihre Weise in sehr klassischer Manier. Ihren Arbeiten eignet Intensität und Passion und eine formale Entschiedenheit, die nicht mit sich handeln lässt. Das betrifft nicht nur jene Bildobjekte, deren klare, direkte Formensprache ihnen eine gewisse Mächtigkeit verleiht, ohne sie deshalb schwer erscheinen zu lassen. Es gilt auch – überraschenderweise – für Motive, die, ohne direktes Zitat zu sein, der popkulturellen Sphäre nahestehen.

Darum besitzen die Arbeiten von Beatriz von Eidlitz bei aller Vielgestaltigkeit dennoch ihren unverwechselbaren Charakter. Sie behaupten sich also auf dem Feld medialer und künstlerischer Bildproduktion mit höchsteigener Bravour.

Eberhard Falcke (2007)

1990
"Der verrückte Selbstmörder 
ist dort vorbeigegangen und 
hat das Wasser der Farben 
zurückgegeben an die Natur, 
aber ihm, wer wird es ihm 
zurückgeben?"
Antonin Artaud: "Van Gogh, 
der Selbstmörder durch 
die Gesellschaft".

Eine der revolutionären Veränderungen, die der Homo faber ins Werk setzte, indem er die Natur seinen Zwecken unterwarf, ist die Entdeckung des Papiers; eine andere die des Metalls. Das Papier vermochte die Welt so weit zu verändern, daß jemand schreiben konnte, das ganze Universum finde sich wieder in einer Biblio­thek . Auch das Metall wurde, war es erst einmal aus der Erde hervorgeholt und künstlich bearbeitet, verändert und verfälscht . Daher hat sich in vielen Sprachen der Ausspruch eingebürgert : “Es ist nicht alles Gold, was glänzt.” Der Zerfall , der im rostenden Eisen zum Ausdruck kommt, wurde auf Papier oft beschrieben als das Glück der Auflösung und Überwindung zivilisatorischer Fes­seln . Doch mehr noch als das ist der Rost im Werk von Beatriz von Eidlitz eine Art des farblichen Empfindens. Im Rost tritt die Grenze zwischen Natürlichem und Künstlichem in Erscheinung; er ist das Produkt der Vergeltung, gefordert von der Natur dafür, daß der Mensch das Eisen aus den Steinen geraubt und manipuliert hat. An dieser Grenze erschafft die Künstlerin eine Welt, wo Abstraktion und äußerste Emotionalität die einzig legitime Sprachform sind. Eine Welt, wo Inhalt und Form in eins fallen, in der die Texturen magische Äußerungen sind, trügerische Gesich­ter, aus dem Chaos geboren, die den extremen Frieden der reinen Form durchbrechen.


Tochter ihrer Zeit, weigert sich die Künstlerin, die Farben aus der Natur zu rauben. Doch ihre Welt aus Weiß und Schwarz ist offen für das Eindringen jener Erinnerung an die Farbe, die alle Farben in sich einschließt: den Rost. In diesem Universum ist der Rost die chromatische Darstellung eines organischen und unorga­nischen Prozesses, vorn Weiß bis hin zum Schwarz, von der Geburt bis zum Tod. Es ist die Geste des Herbstes der Existenz; heute, und schon seit je; im individuellen Leben und in der gesamten Menschheit.


Der Rost des Eisens als Verfallsform menschlicher Techniken ist nur die Erinnerung an den Rost der organischen Natur. Das Blatt eines Baumes zeigt im Lauf der Zeit alle Farben; es verwandelt sich und wird wieder zurückgenommen in den Prozeß des Lebens, durch alle Tode hindurch. Der Rost erinnert unerbittlich und umfassend an alle Farben, die existieren und für immer verloren gehen könnten. Die Abstraktion erfreut uns mit ihren Formen und der Erinnerung an die Farbe, gleichzeitig drückt sie eine Tragödie aus, die frei ist von jeder zeitgebundenen Dramatik oder Interpretation, denn sie findet nicht nur heute statt: sie ist und war schon immer das Dilemma des Menschen. Die Künstlerin zeigt eine Grenze, eine Schwierigkeit, und sie überwindet das Dilemma durch seine Verwandlung in ein grenzenloses Universum, wo die Form zugleich Ausdruck und ein Mittel ist: der Rost nicht nur als ein Objekt visueller Reize, sondern auch als Anstoß zur Erinnerung und freien Assoziation.

Marta Binetti zu der Ausstellung “Oxydationen”, Galerie FORAUM, München (1990)