Wer das Werk von Beatriz von Eidlitz überblickt, kann sich leicht in eine Wunderkammer des Augenkitzels, des Assoziationsreichtums versetzt fühlen. Die vibrierende Präsenz der Farbpigmente, die erdige Tiefe von Rostpartikeln und dunklen Tönen, die lebendigen, wie gerade erst von Naturkräften zugerichteten Oberflächentexturen. Und zugleich diese eminente Akkuratesse, dieses präzise Kalkül bei der Setzung der Formmotive, der formalen Akzente und – nicht zu vergessen – bei der Platzierung der Bildobjekte im Raum. Freiheit, Zufall und Spiel verbinden sich da mit genauestem Gestaltungswillen. Ein wahrhaft abenteuerliches Kompositionsprinzip – im besten Sinne. Aber was ist das für eine Bildwelt, was für ein Formen- und Motivrepertoire, dessen Erweiterung Beatriz von Eidlitz stetig vorantreibt? Im Einzelnen sind ihre Arbeiten oft genug von entschiedenem Ernst. Viele haben das Zeug zu gewichtigen Zeichen oder Symbolen. Ihr Sinn bleibt trotzdem offen. Ihre Bedeutung vermittelt sich eher durch die Stimmung, die sie mit ihren ästhetischen Mitteln erzeugen. Mit der Moderne haben sich ja die Bedeutungen von Dingen und Symbolen bis zur Auflösung gelockert. Danach widerfuhr das Gleiche den Maßstäben der Kunstbetrachtung. Seitdem gehören Stimmungswerte zu den wesentlichen Schlüsseln der Wahrnehmung, ein Wandel, der sich durch den Überschuss medialer Phänomene noch gesteigert hat. Beatriz von Eidlitz muss diese veränderten Wahrnehmungsverhältnisse nicht ausdrücklich thematisieren, um deutlich zu machen, dass sie sich auf ihre ganz eigene Weise darin bewegt. Ihre „Monde“ auf tiefschwarzem Grund, eine sechs Meter lange Bildtafel, strahlen eine magische Intensität aus, wie der Mond seit je, dennoch sehen wir das Gestirn in dreifacher Variation gesetzwidrig durch den Bildraum kugeln. Da treffen sich Eindringlichkeit und das ironische Bewusstsein der Entmystifikation ohne sich gegenseitig das Geringste zu nehmen. „Hier haben meine Bilder ihre Vorfahren“, sagte die Künstlerin bei einer Fahrt durch die farbigen Felslandschaften der Quebrada de Humahuaca im Nordwesten Argentiniens. „Allerdings eine ferne Verwandtschaft. Da liegt viel dazwischen.“ Tatsächlich: Um simple Einflüsse durch Reiseeindrücke geht es hier nicht. Schon eher um die Bildkraft von früh bestaunten und darum nie vergessenen Wunschorten, die auf den Grund der Erinnerung abgesunken sind und dennoch durch alles Spätere hindurch Orientierungen und Entscheidungen beeinflusst haben. Als Kind mit ihren Eltern und später als junge Frau hat Beatriz diese Gegenden bereist, ebenso wie Patagonien und fast alle anderen Landstriche Argentiniens. Während der Herrschaft der argentinischen Militärdiktatur verließ sie das Land 1979. Die Kunststudentin beschloss, ihr Studium in Europa fortzusetzen. Das Interesse für handgeschöpftes Hadernpapier führte sie Mitte der achtziger Jahre in die Waldviertler Papiermühle in Bad Großpertholz. Dort begann sie mit Papier zu arbeiten, zunächst in skulpturaler, dann in bildhafter Form. Daraus entwickelte sich im Lauf der Zeit nichts Geringeres als die Erfindung einer neuen Technik, nennen wir sie das BvE-Verfahren. Eisenbleche, Farbpigmente und geschöpftes Papier sind die wesentlichen Ingredienzien, die Oxydation – vulgo: der Rost – ist der entscheidende Prozess, in dem sich das Zusammenwirken dieser Elemente vollzieht. Das heißt – alle unorthodoxen Werkstoffe besitzen ja ihre eigene Symbolik – es handelt sich um quasi archetypische Materialien der Menschheitsgeschichte. Doch das nur nebenbei. Beatriz von Eidlitz liebt die daraus resultierenden Gestaltungsmöglichkeiten, doch sie macht daraus keinen Fetisch oder Materialkult.
Wie gesagt, es gibt bei Beatriz von Eidlitz eine große Vielfalt der Formmotive. Sie gehört nicht zu jenen, die ihr Werk als monolithisches Monument ihres Stils errichten. In dem Vorstellungsraum, den sie eröffnet, gibt es sehr verschiedene Kabinette. Einerseits ist das eine gewählte Freiheit. Doch nicht allein. 1995 konstatierte Hans Belting „Das Ende der Kunstgeschichte“. Das heißt, die Kunst geht weiter, sie findet aber unter veränderten Bedingungen statt. Das zeigt sich bei Beatriz von Eidlitz, wie bei vielen anderen, in dem Bewusstsein, dass es heute kaum noch um das Erfinden gänzlich neuer Formen und Inhalte gehen kann. Stattdessen liegt der Akzent stärker denn je auf dem Entwickeln neuer Ausdrucksweisen, auf dem Reflektieren, dem Weiterbearbeiten der im großen Kulturarchiv gespeicherten Bestände. „Weltenlexikon“ heißt eine ältere Arbeit, mit der die Künstlerin diesem Tatbestand schalkhaft Reverenz erweist.
Sie hat diese Freiheit zur Vielfalt genutzt, um auch selbst mit ihrem Werk ein bereits gut ausgestattetes Archiv der Formen, der Funde und Neuerfindungen zu erstellen. Doch was heißt Archiv! Strahlen doch ihre Arbeiten in Wahrheit eine ungemein lebendige Wirkungskraft aus. Es ist eine sehr poetische Abstraktion von der Wirklichkeit, die hier die Bildauffassungen bestimmt. Trotz der völlig neuen Verbindung von Materialien arbeitet Beatriz von Eidlitz auf ihre Weise in sehr klassischer Manier. Ihren Arbeiten eignet Intensität und Passion und eine formale Entschiedenheit, die nicht mit sich handeln lässt. Das betrifft nicht nur jene Bildobjekte, deren klare, direkte Formensprache ihnen eine gewisse Mächtigkeit verleiht, ohne sie deshalb schwer erscheinen zu lassen. Es gilt auch – überraschenderweise – für Motive, die, ohne direktes Zitat zu sein, der popkulturellen Sphäre nahestehen.
Darum besitzen die Arbeiten von Beatriz von Eidlitz bei aller Vielgestaltigkeit dennoch ihren unverwechselbaren Charakter. Sie behaupten sich also auf dem Feld medialer und künstlerischer Bildproduktion mit höchsteigener Bravour.
Eberhard Falcke (2007)