"Der verrückte Selbstmörder ist dort vorbeigegangen und hat das Wasser der Farben zurückgegeben an die Natur, aber ihm, wer wird es ihm zurückgeben?" Antonin Artaud: "Van Gogh, der Selbstmörder durch die Gesellschaft".
Eine der revolutionären Veränderungen, die der Homo faber ins Werk setzte, indem er die Natur seinen Zwecken unterwarf, ist die Entdeckung des Papiers; eine andere die des Metalls. Das Papier vermochte die Welt so weit zu verändern, daß jemand schreiben konnte, das ganze Universum finde sich wieder in einer Bibliothek . Auch das Metall wurde, war es erst einmal aus der Erde hervorgeholt und künstlich bearbeitet, verändert und verfälscht . Daher hat sich in vielen Sprachen der Ausspruch eingebürgert : “Es ist nicht alles Gold, was glänzt.” Der Zerfall , der im rostenden Eisen zum Ausdruck kommt, wurde auf Papier oft beschrieben als das Glück der Auflösung und Überwindung zivilisatorischer Fesseln . Doch mehr noch als das ist der Rost im Werk von Beatriz von Eidlitz eine Art des farblichen Empfindens. Im Rost tritt die Grenze zwischen Natürlichem und Künstlichem in Erscheinung; er ist das Produkt der Vergeltung, gefordert von der Natur dafür, daß der Mensch das Eisen aus den Steinen geraubt und manipuliert hat. An dieser Grenze erschafft die Künstlerin eine Welt, wo Abstraktion und äußerste Emotionalität die einzig legitime Sprachform sind. Eine Welt, wo Inhalt und Form in eins fallen, in der die Texturen magische Äußerungen sind, trügerische Gesichter, aus dem Chaos geboren, die den extremen Frieden der reinen Form durchbrechen.
Tochter ihrer Zeit, weigert sich die Künstlerin, die Farben aus der Natur zu rauben. Doch ihre Welt aus Weiß und Schwarz ist offen für das Eindringen jener Erinnerung an die Farbe, die alle Farben in sich einschließt: den Rost. In diesem Universum ist der Rost die chromatische Darstellung eines organischen und unorganischen Prozesses, vorn Weiß bis hin zum Schwarz, von der Geburt bis zum Tod. Es ist die Geste des Herbstes der Existenz; heute, und schon seit je; im individuellen Leben und in der gesamten Menschheit.
Der Rost des Eisens als Verfallsform menschlicher Techniken ist nur die Erinnerung an den Rost der organischen Natur. Das Blatt eines Baumes zeigt im Lauf der Zeit alle Farben; es verwandelt sich und wird wieder zurückgenommen in den Prozeß des Lebens, durch alle Tode hindurch. Der Rost erinnert unerbittlich und umfassend an alle Farben, die existieren und für immer verloren gehen könnten. Die Abstraktion erfreut uns mit ihren Formen und der Erinnerung an die Farbe, gleichzeitig drückt sie eine Tragödie aus, die frei ist von jeder zeitgebundenen Dramatik oder Interpretation, denn sie findet nicht nur heute statt: sie ist und war schon immer das Dilemma des Menschen. Die Künstlerin zeigt eine Grenze, eine Schwierigkeit, und sie überwindet das Dilemma durch seine Verwandlung in ein grenzenloses Universum, wo die Form zugleich Ausdruck und ein Mittel ist: der Rost nicht nur als ein Objekt visueller Reize, sondern auch als Anstoß zur Erinnerung und freien Assoziation.
Marta Binetti zu der Ausstellung “Oxydationen”, Galerie FORAUM, München (1990)